Online-Liebe Millionen Menschen hoffen, online die große Liebe zu finden. Aber sind sie wirklich auf der Suche nach einem Gegenüber – oder nur nach einer zweiten Version ihres Ichs?

Es gibt eine Schlüsselszene in dem Film The Social Network, als der junge Mark Zuckerberg die zündende Idee für „The Facebook“ hat: den Beziehungsstatus. Ein großer Teil des Erfolges von Facebook basiert auch heute noch auf der Angabe der Information, ob jemand vergeben oder zu haben ist.

Die Dating-App „Tinder“ hat sich auf diese Funktion reduziert und bedient damit, was die Menschen am meisten interessiert. 750 Millionen Menschen suchen monatlich durch „Tindern“ die Liebe im Internet. Die App funktioniert über eine Facebook-Anmeldung und lässt Nutzer so lange Bilder von anderen Liebeswilligen „swipen“, bis ein „Match“ entsteht, wenn beide sich gegenseitig attraktiv finden. Manche Nutzer machen sich einen Spaß aus „Tinder“ – etwa um einfach mal „Nein“ zu 30 Männern oder Frauen in 30 Sekunden zu sagen oder Screenshots von befreundeten Nutzern zu machen, die eigentlich in einer Beziehung sind. Andere hoffen aber auch auf den oder die Richtige zu treffen.

Liebe ist ein erstrebenswertestes Lebensziel – das wird immer wieder in Film, Werbung, und Musik thematisiert. Sie ist eine Ersatzreligion. Gott ist tot, es lebe die Liebe. Der Partner wird oft als “Personal Jesus”, also Erlöser für die eigenen Probleme gesehen. Das ist problematisch, denn Liebe ist auch harte Arbeit – spätestens, sobald sich der Alltag einschleicht.

Der irische Soziologe Tom Inglis, schreibt im Magazin The European: „Liebe in dieser individualisierten, postmodernen Welt ist ein Wunder“. Wo früher geographische Limitierung und Gesellschaftszwänge die Partnerwahl einschränkten, haben wir heute durch die digitale Vernetzung der Welt mehr Auswahl – aber sind eben auch oft von den vielen Möglichkeiten überfordert. Online-Dienste wie Elitepartner.de oder edarling.deversprechen den richtigen Kandidaten ausfindig zu machen, indem standardisierte Algorithmen Gemeinsamkeiten auswerten. Haben wir ein ähnliches Einkommen? Wohnen wir in derselben Stadt? Ja, wir dürfen uns verlieben.

Der große Haken beim Online-Dating ist jedoch, dass das digitale Ich und das analoge Ich nicht dasselbe sind. Menschen, die man online kennenlernt, entpuppen sich bei einem richtigen Treffen oft als Enttäuschung. Sie sehen vielleicht anders aus als auf den Fotos, reden oder riechen komisch. Im schlimmsten Fall sind sie sogar eine ganz andere Person, als sie vorgegeben haben zu sein.

Der Autor Milosz Matuschek, der ein Buch über die moderne Partnersuche geschrieben hat und mit über 2.000 Frauen in Online-Börsen Kontakt hatte, beschreibt die gegenwärtige Suche nach Liebe als „trojanisches Pferd“. Er spricht von einer Kapitalisierung der Liebe, in der erst alle Kriterien des perfekten Partners erfüllt sein müssen, bevor man sich verliebt. Diese Art von Optimierung hat aber wenig mit echter Liebe zu tun, und je effizienter die Suche in Online-Dating-Portalen wird, umso mehr Singlehaushalte gibt es. Sollte man die Suche nach dem perfekten Partner aufgeben und seine Ansprüche herunterschrauben? Oder findet man die ersehnte Liebe gerade im Digitalen?

In Spike Jonzes Oskar-prämierten Film Her, der letzte Woche in den deutschen Kinos angelaufen ist, verliebt sich ein Mann in die weibliche Stimme seines Betriebssystems. Der Film spielt in einer Zukunftsstadt, die unserer Gegenwart sehr ähnelt, außer dass die Menschen sich noch mehr auf ihre Technik verlassen. Jeder hat einen kleinen weissen Knopf im Ohr, um sich fortlaufend von persönlichen digitalen Assistenten sein Leben organisieren zu lassen. Echter zwischenmenschlicher Kontakt ist seltener geworden.

Der melancholische Hauptdarsteller mit dem seltsam altmodischen Namen Theodore Twombly (Joaquin Phoenix) ist dabei, sich von seiner Frau scheiden zu lassen und verbringt seine Abende Computer spielend allein zuhause. Aus Neugier probiert er ein neues personalisiertes Betriebssystem aus, dass mit dem Slogan „It’s not just an operating system, it’s a consciousness“ arbeitet . Zuerst beantwortet das Programm mit dem Namen „Samantha“ (gesprochen von Scarlett Johansson) nur seine Emails. Schnell entwickelt es aber eine scheinbar eigene Persönlichkeit, was dazu führt, dass sich Twombly in die einfühlsame Stimme, die nicht von einer menschlichen zu unterscheiden ist, verliebt. Er geht mit Samantha auf Ausflüge und sogar auf ein Double-Date mit einem befreundeten Paar. Eine Beziehung mit einer künstlichen Intelligenz zu haben scheint neu, aber nicht unakzeptabel zu sein.

Der Film changiert zwischen einer utopischen Liebesgeschichte und der Prophezeiung einer nahenden Wirklichkeit. Im Gegensatz zu anderen Mensch-Maschine Filmen wie The Matrixoder Terminator, stellt Jonze Technik nicht als Bedrohung dar, sondern als natürlichen Teil der Gegenwart.

Noch macht man sich lustig über Siris mechanisches Verhalten. Doch was geschieht, wenn sie anfängt, Stimmungen zu spüren und sich menschlicher zu verhalten? Schon heute verlieben sich laut der deutschen Siri-Sprecherin Nutzer in ihre Stimme. Wenn wir täglich im Schnitt neun Stunden auf Bildschirme schauen und unser komplettes Leben digital organisieren, wie fern ist dann nich die Möglichkeit eines digitalen Partners? Insbesondere wenn er so programmiert ist, dass er perfekt zu uns passt?

Schaut man auf die zunehmenden Investitionen großen Internetfirmen in künstliche Intelligenz, scheint es nur noch ein Katzensprung zu sein. Google kaufte kürzlich etwa das KI Startup Deepmind und arbeitet nun mit dem bekannten Spracherkennungsexperten Ray Kurzweil an einer Suchmaschine, die als „kybernetischer Freund“ funktionieren soll. Produkte wie Google Glass verschmelzen Mensch und Technik. Vielleicht werden wir in der Zukunft nicht mehr zwischen beiden unterscheiden können.

Es bleibt jedoch das Problem der Körperlosigkeit. „Samantha“ ist in Her nur zu hören und nie zu sehen. In einer Szene des Films überredet sie Twombly ein Body-Double zu engagieren, um der Beziehung eine physische Dimension zu geben. Der Versuch scheitert – die Situation ist einfach zu sonderbar. Am Ende zerbricht die Beziehung daran, dass „Samantha“ zugibt, parallel mit 641 anderen Personen zu kommunizieren und in die Hälfte von ihnen ebenfalls verliebt zu sein. Sie funktioniert wie ein Spiegel – ihre Intelligenz entwickelt sich anhand des Wesens ihrer Nutzer, so auch der von Twombly. Seit Narziss aber wissen wir, wie gefährlich es sein kann, sich nach einer Beziehung mit seinem Spiegelbild zu sehnen.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Der Freitag