Dieser Beitrag erschien zuerst in der Berliner Morgenpost vom 7. März 2016 und auf morgenpost.de

Von Jobs bei  Dienstleistern  wie „Foodora“ und „Helpling“ versprechen sich Berliner Flexibilität. Das hat aber auch Nachteile.

Berlin in diesen Tagen: Draußen stürmt es, in der Chausseestraße in Mitte hat jemand Lust auf einen Burger. Zwei, drei Klicks, und das Essen aus dem Lieblingsrestaurant ist übers Smartphone nach Hause bestellt. Das ist der Startschuss für Syazwan Khairi. Er steigt auf sein Rennrad, öffnet die App auf seinem Handy, akzeptiert den Auftrag für die Bestellung und fährt los.

In 15 Minuten muss er beim Restaurant am Hackeschen Markt sein, das gleichzeitig Burger und Pommes brutzelt. Er schafft es pünktlich, verstaut die Lieferung in seinem Rucksack, wischt über die App – „Bestellung abgeholt“ – und rast los zum Kunden. Zehn Minuten, um in die Chausseestraße zu kommen, das sind zweieinhalb Kilometer. Kein Problem für Khairi. Zwischendurch ein Blick aufs Handy, links oder rechts? Der Bildschirm ist nass vom Regen. Zwei Minuten bis zur Deadline: Khairi findet die Wohnung nicht. Vorderhaus? Hinterhaus? Welcher Stock? Am Ende ist er vier Minuten zu spät. Ein Mann in Jogginghose öffnet die Tür. Er wirkt entspannt, reicht Khairi ein paar Münzen. „Drei Euro Trinkgeld – so was gibt’s nur in Prenzlauer Berg“, sagt er und strahlt.

Bestellt wird über eine App, in 30 Minuten wird geliefert

Syazwan Khairi arbeitet bei „foo­dora“, einem Start-up, das in weltweit 22 Städten Speisen aus Restaurants ausfährt, die keinen eigenen Lieferdienst haben. Anstatt labbriger Pizza aus No-Name-Läden genießen foodora-Kunden Sushi, Burger und Co aus ihren Lieblingsrestaurants – auf der Couch. Bestellt wird über eine App, 30 Minuten später soll jemand die Speisen durch die Tür reichen, wenn nicht Schnee oder ein platter Reifen dazwischenkommen.

Dafür hat foodora eine Flotte von mehreren Hundert Fahrradkurieren allein in Berlin eingestellt. Sie tragen sich wenige Tage vorher online für ihre Schicht ein, mit der Möglichkeit kurzfristig mit einem anderen Kurier zu tauschen. Khairi liebt diese Flexibilität. Er studiert Fahrzeugtechnik an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) in Berlin und teilt sich seine Zeit gern selbst ein. Bei foodora fährt er ab und zu für ein paar Stunden Rad. Das ist für ihn wie Sport, zwischen seinen Aufträgen isst er Obst – für den 24-Jährigen der ideale Nebenjob.

Viele schöne Hinterhöfe zu entdecken

Doch es gibt ihn auch in Vollzeit-Version. Markus Michaelis fährt 40 Stunden die Woche für foodora. Er ist Fulltime-Fahrer. Michaelis ist eigentlich Geographie-Student, das Studium hat er aber erst einmal auf Eis gelegt, denn das Bafög ist aus. Jetzt muss er Geld verdienen, mit seinem eigenen Rad. Foodora stellt keine Räder, nur Regenjacke und Rucksack. Wie viel er verdient, darf er nicht sagen.

Die anderen Fahrer sind als Mini-Jobber eingestellt, Michaelis verdient „nicht großartig mehr als sie“, sagt sein Chef, Emanuel Pallua, einer der Gründer von foodora. An seinem Job mag Michaelis, dass er dabei viele schöne Hinterhöfe sieht. Der Berliner würde gerne Stadtplaner werden, sagt er. Wie lang er noch bei foodora arbeiten wird, weiß er nicht, aber wahrscheinlich „eine ganze Weile“.

Ortswechsel: eine spartanisch eingerichtete Single-Wohnung in Neukölln. Eine große Palme in der Ecke, ein paar herumliegende Zeitschriften, etwas loser Tabak auf dem Tisch. Die Tänzerin Samantha Franchini (34) betritt den Raum. Sie trägt Plastikhandschuhe und ein grünes T-Shirt. „Helpling“ steht darauf. Sie wohnt hier nicht. Sie ist hier um zu putzen. Helpling ist, ähnlich wie foo­dora, ein Unternehmen der On-Demand-Economy, die gerade von den USA nach Deutschland herüberschwappt. In weniger als 60 Sekunden kann man sich hier, wieder per App, seine private Putzhilfe nach Hause bestellen. Legal und günstig, für 12,90 Euro die Stunde, wenn sie regelmäßig kommt, 14,90 Euro bei Einmalbuchung.

Der DGB spricht schon von „moderner Sklaverei“

Statt wie früher stehen dann anstatt einer Polin ein deutscher Putzmann oder eine akademisch gebildete Lebenskünstlerin wie Samantha Franchini vor der Tür. Wenn sie in eine Wohnung kommt, geht Franchini zuerst ins Bad. „Beim Klo fange ich an, das ist das Schlimmste“, sagt sie. Sie lacht laut. Es klingt nicht fröhlich.

Diesmal hat sie Glück, der Besitzer hat alle Putzmittel da. Auch der Lappen ist neu. In anderen Wohnungen sind die manchmal so alt und hart, dass Franchini damit Frisbee spielen könnte. Seit anderthalb Jahren arbeitet sie jetzt als Reinigungskraft. Am Anfang waren es sechs Tage die Woche, jetzt etwas weniger, weil sie nachmittags zum Deutschunterricht geht. Mit ihren Einnahmen muss sie gut kalkulieren, denn von den 12,90 Euro nimmt das Unternehmen 20 Prozent Kommission. Abzüglich Krankenkasse und Steuern – die Helplinge sind selbstständig – bleiben ihnen zwischen acht und 9,50 Euro. Hinzu kommen Fahrtkosten und eventuell private Altersvorsorge.

30 Prozent der Helplinge haben einen Hochschulabschluss

Kein festes Einkommen, kein bezahlter Urlaub, kein Kündigungsschutz, niedriger Lohn und fast nie Trinkgeld. Der DGB spricht schon von „moderner Sklaverei“. Trotzdem wird das Arbeiten bei Helpling und ähnlichen Firmen immer beliebter. Auch bei Akademikern. Bis zu 30 Prozent der 10.000 Helplinge in Deutschland haben laut dem Unternehmen einen Hochschulabschluss. „Wir vermitteln einen früheren Banker, der sich nun als Comiczeichner etablieren will. Und einen Ex-Atomphysiker, der sich als Rentner etwas dazuverdient und sehr gute Bewertungen von den Kunden bekommen hat“, sagt Philipp Stegmann von Helpling.

Auch Samantha Franchini hat studiert – Sprachen und modernen Tanz in Italien. Mit dem Tanzen hat es in Berlin bislang nicht geklappt, es gibt zu viel Konkurrenz. Der Job bei Helpling klang toll, weil er so flexibel ist. Das Online-Profil mit den Wunscharbeitszeiten kann man jederzeit anpassen. Franchini stellte sich vor, dass sie nebenher viel tanzen könne, um auf ihr eigentliches Ziel hinzuarbeiten. Für Helpling sprach auch, dass der Job so einfach zu kriegen war. Es gab nur ein kurzes Telefongespräch, in dem ihr ein paar Fangfragen gestellt wurden, ob sie den gleichen Schwamm für Küche und Bad benutzen würde und Ähnliches. Nur um den Gewerbeschein zu bekommen, musste sie mit den Behörden kämpfen.

Fünf Sternchen sind das Bewertungssystem von Helpling

Nach zwei Stunden ist die Wohnung fertig geputzt. Samantha Franchini muss los, sie gibt Kindern Tanzunterricht. Der Mieter ist zufrieden und wird Franchini wohl eine gute Bewertung geben. Doch die bekommt sie nicht immer. Auf der Helpling-App gibt es einen Rechner, der anhand der Quadratmeter empfiehlt, wie lange der Helpling zum Saubermachen braucht. Für 60 Quadratmeter sind circa zwei Stunden angedacht. Doch es kam schon mal vor, dass Franchini zwei Stunden hatte, um ein ganzes Haus zu reinigen. Sie hat dann die Möglichkeit, den Bewohner um eine Terminverlängerung zu bitten oder nach abgelaufener Zeit zu gehen. Dann gibt es manchmal keine fünf Sternchen, weil der Kunde kein Verständnis zeigt.

Die fünf Sternchen sind das Bewertungssystem von Helpling. Dabei kann der Kunde ein bis fünf Sternchen geben und Kommentare über die Arbeitskraft hinterlassen. Der Helpling selbst kann nicht kommentieren. „Das haben wir bewusst nicht gemacht. Wir halten uns an den Marktstandard, dass derjenige bewertet wird, der die Dienstleistung erbringt“, sagt Helpling-Mitgründer Benedikt Franke. Wenn einem Helpling eine Bewertung als unfair erscheint, hat er allein die Möglichkeit, zu einem anderen Kunden zu wechseln. „Jeder Dienstleister ist frei zu entscheiden, ob er mit einem Kunden zusammenarbeiten möchte oder nicht“, so Franke. Helpling ist da flexibel, ihre Mitarbeiter müssen es auch sein. Ob mit oder ohne Uni-Abschluss.