Foto: Ariana Dongus

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Dieser Beitrag erschien zuerst am 17. Dezember 2017 auf ZEIT ONLINE.

In Jordaniens Camps werden Geflüchtete per Iris-Scan registriert und fortan identifiziert. Ablehnen können sie das nicht. So wird die EyeHood-Technik marktreif gemacht.

Imad Malhas hält sich den schwarzen Scanner wie ein Fernglas an die Augen. „Please look into the mirror„, ertönt eine weibliche Computerstimme. Bitte schauen Sie in den Spiegel. Ein schwarz-weißes Abbild seines linken Auges erscheint auf dem Bildschirm. Malhas ist der Gründer von IrisGuard mit Sitz in Milton Keynes, einer sterilen Planstadt 30 Minuten nördlich von London. Zwei Sekunden dauert es, bis sich der Computer wieder meldet: „Identification completed„. Der EyeHood hat Malhas’ Iris erkannt und ihn damit identifiziert. Der Unternehmer zieht zufrieden an seiner E-Zigarette. Dass sich seine Erfindung mal irrt, ist nahezu ausgeschlossen, denn die Iris ist bei jedem Menschen einzigartig. Ist die Regenbogenhaut einer Person durch EyeHood registriert, kann das System die Identität eines Menschen beliebig oft verifizieren.

Tausende Kilometer entfernt ist das bereits Alltag. In Amman werden täglich 3.000 bis 5.000 Menschen von EyeHood gescannt – Geflüchtete. So ist es in vielen Camps des Mittleren Ostens, auch in Irbid, Mafrak, Asrak, Zaatari und in den mobilen Zentren außerhalb der jordanischen Städte. Mit dem System werden Menschen als Flüchtlinge registriert oder sie lassen ihren Status als Hilfsbedürftige erneuern. Wer das nicht tut, bekommt vom Betreiber der Flüchtlingscamps, dem Hochkommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR), keine Hilfe. Kritiker sagen, so würden Kriegsflüchtlinge für die Erprobung biometrischer Erkennungssysteme zwangsverpflichtet, bis diese marktreif sind.

Seit 2013 kooperiert das UNHCR mit IrisGuard. 2,4 Millionen meist syrische Flüchtlinge in Jordanien und Nachbarländern wurden damit an mehr als 300 Registrierungsstationen erfasst. Schnell und effizient, sagt Malhas.

Der Unternehmer gewann das UNHCR als Kunden mit dem Argument, es gebe keine bessere Methode, Hilfeleistungen für Flüchtlinge zu verwalten. In der Vergangenheit wurden, um sicherzugehen, dass es sich bei einem Menschen um einen registrierten Flüchtling handelt, häufig Fingerabdrücke genommen. Aber der menschliche Fingerabdruck ist erst nach dem 13. Lebensjahr voll entwickelt. „Die Iris eines Menschen verändert sich vom dritten Lebensjahr an bis zum Tod nicht mehr“, sagt Malhas. Weltweit sind 65 Millionen Menschen auf der Flucht und viele davon sind Kinder. Die Hälfte aller in Jordanien ankommenden Flüchtlinge ist unter 18 Jahre alt, das UNHCR scannt Kinder ab drei Jahren. Malhas betont: „Wer einmal gescannt wurde, kann noch mit 100 Jahren anhand seiner biometrischen Merkmale einwandfrei identifiziert werden.“

Dieser Vorteil gegenüber dem Fingerabdruck ist aber nicht der einzige Grund, aus dem die UN in Malhas Projekt eingestiegen ist. Malhas benutzt oft das Wort „Würde“. EyeHood, so erzählt er Regierungen und NGOs, gebe Flüchtlingen ein Stück ihrer Würde zurück. „Armen Menschen ist es oft unangenehm, über Stunden in einer Schlange anstehen zu müssen. Sie sparen durch diese Technologie viel Zeit.“

Malhas bestes Argument: Geld

Zurückgewonnene Würde ist ein Verkaufsargument, ein anderes ist Geld. Denn EyeHood soll vor allem Betrug verhindern, der den Betreibern der Flüchtlingscamps unnötige Kosten verursacht. Ein gescannter Flüchtling, der an einem Tag eine Decke vom UNHCR bekommt, kann sich nicht am nächsten Tag als jemand anderes ausgeben, um eine zweite zu bekommen. Auch die mehrfache Beantragung von Hilfsgeld, zum Beispiel durch doppelte Registrierung in Jordanien und dem Libanon, sei nicht mehr möglich, sagt Malhas.

Inzwischen werden die Scanner nicht zur Registrierung von Flüchtlingen benutzt. IrisGuard hat seine Produktpalette ausgebaut. Flüchtlinge können mit einem Wimpernschlag nun auch Geld abheben. Das System nennt sich EyePay. Die Hälfte aller UNHCR-Hilfe basiert heute auf Bargeldauszahlungen. Die Betroffenen bekommen das Geld direkt im Camp oder am Bankautomaten – per Iris-Scan. Die jordanische Regierung und die Cairo Amman Bank kooperieren bei EyePay. Bankkarte, Ausweis, Registrierungsnummer – alles, was theoretisch gefälscht werden könnte, müssen Flüchtlinge nach einer Registrierung nicht mehr vorzeigen. Die Autorisierung beim Geldabheben erfolgt über einen Abgleich mit der Datenbank des UNHCR.

Seit Anfang 2016 können Flüchtlinge auch in Camp-Supermärkten mit dem Iris-Scan bezahlen. Im Zaatari-Camp im Norden Jordaniens etwa nutzen rund 100.000 Flüchtlingen das System. Wer eine Packung Reis kaufen möchte, stellt sich wie in Deutschland an die Kasse. Er muss aber kein Geld aus dem Portemonnaie kramen, ein Blick in die installierten Geräte reicht. Sobald die Iris gescannt wurde, kommuniziert das System mit der Registrierungsdatenbank des UNHCR, um die Identität des Einkäufers zu bestätigen. Ist das geschehen, wird der Preis für die Packung Reis an die Bank weitergeleitet, wo das UNHCR monatlich bis zu 130 Euro für jeden Flüchtling hinterlegt.

Inzwischen beteiligen sich auch mehr als 200 Supermärkte im städtischen Raum an dem System, da 80 Prozent aller Flüchtlinge in Jordanien nicht in Camps leben. Kooperationspartner ist in diesen Fällen das Welternährungsprogramm (WFP) der Vereinten Nationen. Dessen Ansatz unterscheidet sich technisch von dem des UNHCR in einer Hinsicht: Seit Anfang dieses Jahres werden die Einkäufe von Flüchtlingen nicht mehr über die lokalen Banken abgewickelt, sondern über eine Blockchain – eine fortlaufende und fälschungssichere Liste von Transaktionen. In dem Flüchtlingscamp in Asrak nutzen bereits 10.000 Flüchtlinge im Supermarkt nicht nur den Iris-Scan, sondern auch jene Technologie, die hinter Bitcoin steckt.

Der Vorteil für das WFP: Das Konto des Flüchtlings ist nicht mehr bei einer Bank, sondern innerhalb des Blockchain-Netzwerks hinterlegt. Darin finden sich auch die Identitätsdaten und der aktuelle Kontostand. Kauft ein Flüchtling in einem Supermarkt ein, wird der Betrag in dem Datensatz automatisch abgezogen. Das Geld fließt direkt vom WFP über die Blockchain zum Supermarkt. Das WFP spart sich somit Transaktionsgebühren, die Banken üblicherweise verlangen. Und es kann die Flüchtlinge umfassend kontrollieren.

Foto: Ariana Dongus

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Wenn Millionen von Menschen ihre Iris digital scannen lassen, entstehen entsprechend viele Daten. Das WFP kann dadurch feststellen, welche Produkte Flüchtlinge in den Supermärkten am häufigsten kaufen und sie entsprechend nachbestellen. Zudem kann es die Preise kontrollieren und zum Beispiel sicherstellen, dass die von ihm selbst betriebenen Läden nicht teurer oder günstiger sind als andereDas WFP überprüft anhand der Daten auch, ob sich die Flüchtlinge ausgewogen ernähren. Wehren können die sich gegen die Überwachung ihrer Konsumgewohnheiten nicht.

IrisGuard stellt den UN-Organisationen seine Technik kostenlos zur Verfügung. Aber das Unternehmen von Malhas verdient daran, wenn ein Flüchtling per Iris-Scan Geld abhebt oder im Supermarkt einkauft – es zweigt jedes Mal eine Transaktionsgebühr von einem Prozent ab.

Malhas spricht nicht darüber, doch er wird wissen, dass seine Iris-Scans in Europa nicht so einfach eingesetzt werden dürften. In Deutschland wird für die Erhebung, Speicherung und Verarbeitung biometrischer Daten eine gesetzliche Grundlage oder die informierte Einwilligung des Betroffenen benötigt. Spätestens mit Inkrafttreten der EU-Datenschutzgrundverordnung im kommenden Jahrgilt das für die ganze Europäische Union.

„Die Menschen haben keine Wahl“

Den meisten Flüchtlingen in Jordanien dürfte jedoch nicht bewusst sein, wie viel sie mit dem Iris-Scan von sich preisgeben. Sie unterschreiben in den Camps ein Dokument, dessen Inhalt sie möglicherweise nicht vollständig begreifen. Die Datenschutzrichtlinie des UNHCR ist vage formuliert. Das Flüchtlingshilfswerk behält sich vor, Daten an Dritte weiterzugeben, steht darin. Malhas hat seine eigene Interpretation von Datenschutz und informationeller Selbstbestimmung. „Wenn Flüchtlinge vor Krieg fliehen, sind sie Bürger eines Landes namens UNHCR, bis sie in ihr Land zurückkehren oder umgesiedelt werden. Hat dieses Land UNHCR solange kein Recht, die Daten seiner Bürger zu besitzen?“, fragt er.

„Das Problem ist, dass die Menschen keine Wahl haben“, sagt Marek Tuszynski. Er ist Mitbegründer der auf Datensicherheit spezialisierten NGO Tactical Tech und kritisiert die biometrischen Massenregistrierungen. „Um Lebensmittel zu bekommen, müssen sie ihre Iris scannen lassen. Und sind sie einmal im System, kommen sie nicht mehr raus. Das bedeutet, ein dreijähriges Kind kann, solange es Hilfe bezieht, überwacht werden. Das kann theoretisch also das gesamte Leben dauern“, sagt er.

Westliche Tech-Unternehmen benutzen Flüchtlinge als Probanden in schwach regulierten Räumen, sagt auch Paul Currion. Er ist unabhängiger Berater für humanitäre Fragen und hat im Irak und in Afghanistan für verschiedene NGOs gearbeitet. Seiner Meinung nach sind Flüchtlingscamps lukrative Märkte für Unternehmen, die Großes planen. „Sie können ihr Geschäftsmodell als humanitäre Hilfe verkaufen, bauen dabei Verbindungen zu westlichen Regierungen auf und können vor allem in großem Maßstab ihre Geräte testen, da die Flüchtlinge es nicht wagen, ihre biometrische Erfassung infrage zu stellen“, sagte er.

Ehemaliger Geheimdienstdirektor im Vorstand

Dass Datenschützer misstrauisch gegenüber IrisGuardsind, liegt auch an der Firmenstruktur des Unternehmens. Malhas kommt aus dem Bereich der nationalen Sicherheit. Den Vorläufer von EyeHood setzte er 2001 erstmals in den Vereinigten Arabischen Emiraten ein. Malhas Aufgabe war es damals, illegale Einwanderer zu identifizieren, damit sie abgeschoben werden konnten. Die Grenzposten der Emirate waren quasi die ersten Testläufe für den EyeHood. „Wir haben einen elektronischen Zaun um das ganze Land errichtet. Das sind Leute, die das Gesetz gebrochen haben, das hat nichts mit Big Brother oder Massenüberwachung zu tun“, sagt Malhas.

Mit dem Unternehmen IrisGuard sind bekannte Namen verbunden: So sitzt im Aufsichtsrat Richard Dearlove, der bis 2004 Direktor des britischen Auslandsgeheimdienstes MI6 war. Ebenfalls Mitglied im Aufsichtsrat ist Frances Townsend, die von 2004 bis 2008 Beraterin für Innere Sicherheit und Terrorbekämpfung (Homeland Security) des damaligen US-Präsidenten George W. Bush war. IrisGuard hat seinen Sitz auf den Kaiman-Inseln, die vor allem für ihre großzügigen Steuergesetze bekannt sind. Malhas sagt, es sei dadurch einfacher, Investoren zu finden, als unter jordanischem oder britischem Recht. Seit Mitte November unterstützt die Investmentbank Goldman Sachs IrisGuard finanziell dabei, ein Netzwerk aus Banken aufzubauen, die EyePay anbieten.

Malhas will seine Scanner zu Allround-Produkten machen. Prototypen für das Homebanking über private Laptops seien bereits entwickelt, sagt er. Passwörter müsse sich dann niemand mehr merken. Kreditkarten, findet er, könnten durch die Iris ersetzt werden. Getestet an Millionen Unfreiwilligen.