Im Interview mit den Netzpiloten spricht der Medientheoretiker Geert Lovink über die Veränderungen von Kommunikation im Internet durch Bekanntwerden der Überwachung durch Geheimdienste.

Geert Lovink

Auf der Konferenz Netzkultur der Berliner Festspiele und der Bundeszentrale für politische Bildung sprachen wir mit dem Medientheoretiker Geert Lovink über den Status der Kommunikation im Internet und sozialer Netzwerke nach den Enthüllungen von Edward Snowden. Der niederländische Medientehoretiker erforscht digitale Gemeinschaften und organisierte Gruppen im Internet. Seiner Meinung nach wird durch die Aufdeckung der Überwachung durch Geheimdienste unser Verhalten im Internet stark verändern.

Warum ist das wichtig?

  • Paranoide Kommunikation im Netz lähmt Gesellschaft und Wirtschaft.
  • Netz-Zentralismus von Google, Twitter & co geht vorbei, meint Lovink.
  • Das Online-Netzwerk der Zukunft sollte eine Kombination aus horizontaler und vertikaler Vernetzung sein.

Christina zur Nedden: Sascha Lobo hat in zwei Beiträgen gesagt, dass Internet sei kaputt. Wie sehen Sie das?

Geert Lovink: Da stimme ich ihm zu. Es gibt einen Konsensus, dass es so nicht weitergeht und man sich zusammensetzen muss um zu überlegen, wie man in Zukunft noch sicher kommunizieren kann. Die Enthüllungen von Edward Snowden, Jacob Applebaum und Anderen haben für große Verunsicherung gesorgt. Wenn wir nur noch paranoid kommunizieren, wird dies langfristig unsere Gesellschaft und Wirtschaft lähmen. Hier besteht dringender Handlungsbedarf der Politik.

Wie wirkt sich diese Verunsicherung auf soziale Netzwerke aus? Entsteht aus dem Gefühl der Beobachtung eine Bewegung der “Entnetzung”?

Dass die Zukunft Twitter und Facebook gehört bezweifle ich stark. Schon jetzt nehmen Facebook-Nutzerzahlen ab, weil den Leuten langweilig wird und die jüngere Generation kein soziales Netzwerk mit ihren Eltern teilen möchte. Jedoch geht es vielmehr um die generelle Architektur des Internets, als um bestimmte Plattformen oder Firmen, die dauernd im Wechsel sind. Die Art „Schutzzone“ in der man bis jetzt geglaubt hat mit seinen Kontakten privat zu kommunizieren gibt es nicht mehr. Und das Vertrauen, etwas nur mit dem Empfänger zu teilen ist angeknackst. Doch bis jetzt läuft alles so weiter wie bisher, denn ein Bewusstsein entwickelt sich zuerst bei denen, die sich aktiv mit dem Thema befassen. Danach kommt eine mediale Vermittlung der Situation und in der dritten Phase spürt die breite Masse der Nutzer die Veränderung in ihren Alltagserfahrungen und wehrt sich.

Wie sieht Ihr Wunschnetzwerk der Zukunft aus?

Klar ist, dass die Gesellschaft sich vom Zentralismus von Google, Facebook und Twitter wegbewegt. Es liegt in der Verantwortung jedes Einzelnen die Infrastruktur des Netzes zu verändern. Ein ideales Netzwerk im Internet sollte eine Kombination aus horizontaler und vertikaler – oder föderaler – Vernetzung sein. Das heißt wir können nicht uns nicht darauf verlassen, dass Dezentralisierung des Internets unsere Freiheit wieder herstellen wird, sondern müssen vertikale Elemente in die Vernetzung mit einbauen. Wir wissen noch nicht genau, wie das aussehen wird.

Kann man in einer dezentralisierten digitalen Gesellschaft noch global kommunizieren?

Auf jeden Fall. Die Fragmentierung des Netzes wird nicht soweit gehen, dass sich nur noch Leute am selben Standort unterhalten. Es kann jedoch immer örtliche Zensuren und Einschränkungen in der freien Kommunikation geben. In Ländern wie der Türkei, China, Iran, Saudi Arabien und Ägypten ist dies heute der Fall und diese Liste kann aufgrund von politischen Entscheidungen immer weiter wachsen.

Bild: Tobias Schwarz/Netzpiloten (CC BY 4.0)

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Netzpiloten.de