Photo: Ariana Dongus

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Dieser Beitrag erschien zuerst auf SPIEGEL ONLINE

Die eigenen Sorgen vergessen – wenn auch nur ein paar Achterbahnfahrten und Popcorntüten lang. In einem Freizeitpark im Nordirak trotzen kriegsgebeutelte Iraker dem Drama ihres Landes.

Ayeth balanciert in der Mitte einer sich rasend schnell drehenden Scheibe. Mit einer Hand klammert sich der 15-Jährige an die Schulter seines Cousins, mit der anderen hält er das Handy hoch über seinen Kopf und filmt den wilden Ritt.

Aus Lautsprechern dröhnt arabischer Pop, bunte Lichter flackern. Nach ein paar Minuten ist die Schleuderfahrt zu Ende, Ayeth springt von der Scheibe und rennt zu Mutter und Schwester. „Nicht hingefallen!“, sagt er stolz.

Irak, ein Land im Bürgerkrieg? Im „Majidi Land“, einem Vergnügungspark in Arbil, der Hauptstadt des kurdischen Autonomiegebiets im Nordirak, scheint dies an diesem Freitagabend weit weg.

Nur gut eineinhalb Autostunden entfernt toben seit Monaten schweren Kämpfe zwischen dem Islamischen Staat (IS) und irakischen Regierungstruppen und deren Verbündeten in Mossul. In Tikrit, noch ein wenig südlicher, verübte der IS in der Nacht zu Mittwoch einen Anschlag, bei dem mindestens 31 Menschen starben.

„Wegen der anhaltend erhöhten Gefahr von Terroranschlägen wird von nicht notwendigen Reisen in die Region abgeraten“, warnt das Auswärtige Amt vor Reisen nach Arbil und Umgebung. Man sollte meinen, dass die Menschen hier vor Angst nicht aus dem Haus, geschweige denn auf eine Achterbahnfahrt gehen.

„Natürlich ist es an manchen Orten unsicher, aber Angst vor dem IS haben wir nicht“, sagt Akbal al-Khalidi, Ayeths Mutter. Dabei kommt sie aus einem weit gefährlicheren Ort als Arbil, aus Bagdad.

Wie die meisten Besucher ist sie nachmittags mit einem Reisebus aus der irakischen Hauptstadt gekommen. Das „Majidi Land“ ist Programmpunkt eines viertägigen Kurzurlaubs. Am nächsten Tag geht es weiter in die Berge, denn Arbil hat für irakische Touristen außer der denkmalgeschützten Zitadelle nicht viel zu bieten. Die meisten reisen nur durch.

Ohne Bagdad kein Business

Dass die meisten Majidi-Land-Besucher heutzutage nicht aus Kurdistan sind, weiß auch Sermad Faek. Zwischen Popcorn- und Softeismaschine beobachtet er aus seiner Holzbude heraus, wie die Bimmelbahn mit den Urlaubern aus Bagdad vorbeifährt.

Faek besitzt drei Imbissbuden im Park, die erste öffnete er 2014. Dabei ist er eigentlich ausgebildeter Ingenieur. Doch in Kurdistan gibt es seit zwei Jahren einfach kein Geld, beklagt er sich. „Ohne die Leute aus Bagdad hätten wir kein Business“, sagt er.

Bis der IS 2014 vor der Haustür stand, ging es der Region gut. Investoren legten ihr Geld lieber im stabilen Kurdistan an als im zerbröckelnden Rest-Irak. Die Wirtschaft boomte, es entstanden riesige Shopping Malls, Kinos, Sushi-Bars und Gated Communities mit Namen wie „German City“ oder „Italian Village“ für die Neureichen. Wenn mal ein internationaler Journalist in Arbil vorbeikam, schrieb er über das „terrorfreie Mini-Dubai“.

Doch der Krieg gegen den IS trieb die Haushaltskosten in die Höhe, genauso wie die Zahl der rund 1,8 Millionen Flüchtlinge aus Syrien und Binnenflüchtlinge, die nach Kurdistan kamen. Der Ölpreis fiel, und Unstimmigkeiten mit Bagdad führten dazu, dass die Zentralregierung den Kurden die ehemals 17 Prozent des nationalen Budgets vollends entzog.

Kurz: Mit dem Krieg kam die Krise, und die Geldgeber verließen hastig das Land. So kommt es, dass es vielen Menschen in Bagdad zurzeit wirtschaftlich besser geht als den Kurden.

Ein teures Vergnügen

Kamran Abdulla ist Schuldirektor in Arbil. Er hat Freunde aus Kirkuk zu Besuch, denen er den Vergnügungspark zeigt. Eigentlich kann er sich den Eintritt von 5000 irakischen Dinar, rund vier Euro, gerade nicht leisten, denn seit zwei Jahren hat er wenig bis gar kein Gehalt mehr bekommen. Das liegt auch an der Krise.

Rund 60 Prozent Prozent der Kurden arbeiten im öffentlichen Sektor. Als Bagdad den Geldhahn zudrehte, wurde als Erstes das Gehalt der Lehrer gekappt. Schulen, Universitäten und Regierungsgebäude machten dicht. Abdulla ging mit seinen Kollegen auf die Straße, doch jetzt geht er wieder zur Arbeit – unbezahlt. „Ich habe Angst vor dem Geheimdienst“, sagt er leise.

Der hat sein gewaltiges Hauptquartier nur ein paar Meter vom Park entfernt. Das Logo des „Asayî“, ein allsehende Auge, ist Programm – denn die Präsenz des Geheimdienstes ist in Arbil unsichtbar und doch allgegenwärtig. Trotzdem weiß Abdulla den großen Sicherheitsapparat im Nordirak auch zu schätzen. Arbil ist im Vergleich zum instabilen Rest des Landes auch heute noch eine Oase der Sicherheit.

Während Bagdad fast wöchentlich Terroranschläge erleidet, hat es Arbil zweimal getroffen: Im November 2014 tötete ein Selbstmordattentäter mehrere Menschen im Zentrum nahe des Basars und der Zitadelle. Im April 2015 sprengte sich ein weiterer vor dem US-Konsulats im christlichen Viertel Ainkawa in die Luft. Seitdem ist nichts passiert.

Picknick im Park

Diese relative Sicherheit genießen auch Ahmed Qadir und seine Frau Shahela. Den Nervenkitzel der schnellen Achterbahnfahrt brauchen sie nicht, sie gondeln lieber im gemütlichen Riesenrad.

Von oben sehen sie, wie die Sonne über der sandigen Stadt untergeht. Sie schauen auf das Viertel Kaz Nazan, das gleich links neben dem Park liegt. In dem Stadtteil sind seit dem Beginn der Flüchtlingskrise Binnenvertriebene in dürftigen Häusern untergekommen.

Viele von ihnen haben Arbeit im Zentrum gefunden, als Gemüseverkäufer am Straßenrand, als Friseur oder als Servicekraft in einem Hotel. Das gilt vor allem für die irakischen Christen aus Karakosch, die im christlichen Viertel Ainkawa in Arbil bei Familie und Freunden wohnen. Sie empfinden diesen Ort als den letzten sicheren für Christen im Irak.

Als das junge Paar aus der Schaukelkabine steigt, zieht es sie weiter zu den Imbissbuden. Sie wollen türkischen Kaffee kaufen und sich auf eine Parkbank setzen, denn sie vermissen es, zu picknicken. Qadir und seine Frau kommen aus Bagdad. Das beste am „Majidi Land“ sind für sie die vielen Grünflächen, zu Hause ist ihnen das Picknicken zu gefährlich geworden. Dabei gehören die Draußentreffen fest zur Kultur.

An jeder Hauptstraße in Arbil finden sich am Straßenrand allerhand Picknickutensilien, von Fischbrätern für das irakische Nationalgericht Masgouf bis hin zu Kohle und Sitzdecken. Für Qadir und seine Frau ist der Besuch im „Majidi Land“ der Beginn ihrer Flitterwochen, sie sind erst seit zwei Tagen verheiratet. Trotz der unsicheren Zeiten – das gemeinsame Leben soll vergnügt beginnen.